Stärken, die wir nicht sehen – und warum sie unser ganzes Leben prägen
- Özkan Ünlü
- 14. Nov.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Nov.

Es gibt Stärken, die man übt, bis sie sitzen. Und es gibt Stärken, die wachsen, ohne dass wir es merken. Meist ganz still, irgendwo im Alltag, während wir einfach versuchen, klarzukommen.
Viele Menschen glauben, Kompetenzen entstehen erst dort, wo ein Diplom hängt oder ein Kurs abgeschlossen ist. Doch meistens beginnen sie viel früher – in Situationen, die damals völlig unspektakulär wirkten. Bei mir war es nicht anders. Erst viel später habe ich verstanden, dass ich die wichtigsten Grundlagen für meine heutige Arbeit schon als Jugendlicher gelegt habe, als ich noch gar nichts über Laufbahnberatung, Coaching oder Berufswahl wusste.
In diesem Artikel erzähle ich dir, wie diese Stärken entstanden sind, warum viele davon lange unsichtbar bleiben und weshalb es so wertvoll ist, sie irgendwann bewusst zu erkennen.
Defensives Mittelfeld – Verantwortung lernen, bevor man weiss, dass es Verantwortung ist
Als Kind und Jugendlicher war Fussball mein Mittelpunkt. Ich spielte im defensiven Mittelfeld, später wurde ich Mannschaftskapitän. Keine Position für Menschen, die ständig im Rampenlicht stehen – aber eine, die alles zusammenhält. Heute kann ich das so klar sagen. Damals war es einfach meine Aufgabe.
Im defensiven Mittelfeld lernst du, die Übersicht zu behalten. Du spürst, wann es Zeit ist, Druck rauszunehmen – und wann man mutig vorwärts spielen muss. Du merkst, wie ein Team funktioniert, wie man kommuniziert, ohne grosse Worte zu machen. Und du triffst Entscheidungen, während der Ball noch unterwegs ist.
Ich habe damals nie gedacht: „Ich entwickle hier gerade Kompetenzen, die mich später beruflich tragen werden.“ Ich wollte einfach gewinnen, gut spielen, Verantwortung für mein Team übernehmen.
Heute weiss ich: Leistungssport formt Fähigkeiten, die in kaum einem Klassenzimmer vermittelt werden. Druck aushalten. Konzentriert bleiben. Räume lesen. Teamspirit. Selbstdisziplin. Resilienz. Forschung zeigt klar, dass Sport wichtige Life-Skills fördert.
Für mich waren diese Stärken damals selbstverständlich. Später merkte ich erst, dass sie ein Fundament geworden sind.
Maler EFZ – ein Handwerk, das viel mehr beibringt als sauber arbeiten
Nach der Schule kam die Malerlehre. Vielleicht nicht der offensichtlichste Weg, wenn man später Berater werden will – aber einer der wertvollsten. Ich habe dort Dinge gelernt, die ich in keinem Büro der Welt besser gelernt hätte.
Als Maler musst du sauber und exakt arbeiten. Fehler kann man nicht „verstecken“. Jede Bewegung, jeder Pinselstrich, jede Entscheidung hinterlässt eine Spur. Du lernst, sorgfältig zu planen: zuerst die Vorbereitung, dann die Schritte, dann die Ausführung. Du lernst, Farben wahrzunehmen, Strukturen zu beurteilen, geduldig zu bleiben.
Eine Szene ist mir besonders geblieben.Ich stand vor einer Wand mit kleinen Rissen. Der Vorarbeiter sagte:„Mach sie weg – aber so, dass man nicht sieht, dass du etwas gemacht hast.“
Ich nahm die Werkzeuge, überlegte, prüfte, spachtelte. Erst später wurde mir klar:
Menschen sind wie Wände. Man sieht vieles erst, wenn man genau hinschaut – und oft sind die wichtigsten Stärken jene, die man erst entdeckt, wenn man geduldig hinsieht.
Dieses genaue Hinschauen, dieses Strukturgeben, diese Geduld – all das begleitet mich bis heute in meiner Arbeit.
Arbeitsintegration – Menschen dort sehen, wo sie wirklich stehen
Irgendwann führte mich mein Weg in die Arbeitsintegration. Dort begann ich zum ersten Mal zu verstehen, wie viel ungenutztes Potenzial in Menschen steckt.
Ich arbeitete mit Jugendlichen ohne Orientierung, mit Erwachsenen nach Brüchen im Leben, mit Menschen, die sich selbst kaum zutrauten, dass sie etwas schaffen könnten.
Und hier wurde eine Fähigkeit entscheidend, die mir später immer wieder zugutekam:
Menschen lassen sich nur begleiten, wenn man sie dort abholt, wo sie sind – nicht dort, wo man denkt, sie sollten sein.
Ich lernte zuzuhören, wirklich zuzuhören. Ich beobachtete, wie jemand spricht, wohin seine Energie geht, wo sie abbricht. Ich sah, wann jemand aufblüht – und wann er sich zurückzieht.
Viele sagten später:„Du hast etwas in mir gesehen, das ich selbst nicht wahrgenommen habe.“
Aber ich konnte das nur, weil andere Menschen es früher bei mir getan hatten. Trainer, Ausbildner, Kolleginnen – Menschen, die an mich geglaubt haben.
Deshalb sage ich auch heute im Coaching:Es braucht immer zwei. Ich unterstütze dich – aber du bist der wichtigste Teil des Prozesses.
Laufbahnberatung – das fachliche Fundament
Mit der Zeit wuchs der Wunsch, mehr zu verstehen. Ich wollte nicht nur intuitiv gut sein, sondern fundiert. Also machte ich die Ausbildung zum dipl. Berufs- und Laufbahnberater und später den MAS FHNW.
Dort lernte ich die Welt der Berufsfelder, Studiengänge, Interessen und Persönlichkeitsmodelle kennen. Und gleichzeitig lernte ich etwas, das heute zentral für meine Arbeit ist:
Gute Beratung bedeutet nicht, Lösungen zu präsentieren – sondern gute Fragen zu stellen.
Und noch etwas:Je mehr ich lernte, desto mehr erkannte ich, wie wichtig es ist, auch zu wissen, was man nicht weiss.
Die Laufbahnberatung hat meinen Weg geerdet. Sie gab meiner Erfahrung Struktur, meinem Blick Tiefe und meiner Arbeit Haltung.
Heute verbinde ich alles:die Ruhe des Handwerks, die Beobachtungsgabe aus der Integration, die Disziplin aus dem Sport, das Fachwissen aus der Beratung und die Ethik des Coachings.
Unbewusste Stärken – das, was wir viel zu oft übersehen
Viele Menschen glauben, sie hätten keine besonderen Stärken – einfach weil ihnen ihre eigenen Fähigkeiten selbstverständlich vorkommen.
Sie sagen:
„Das macht man halt so.“„Das kann doch jeder.“„Das ist doch nichts Besonderes.“
Dabei liegen genau dort die stärksten Kompetenzen.
Eine Mutter, die Termine, Haushalt, Emotionen und Konflikte bewältigt, sagt „Das ist Alltag“.In Wahrheit ist es Organisation, Priorisierung, Resilienz und Stressmanagement.
Ein Fussballer sagt „Ich spiele halt“.In Wahrheit liest er Räume, trifft Entscheidungen, kommuniziert, reguliert Druck – Kompetenzen, die im Beruf enorm wertvoll sind.
Unbewusste Stärken brauchen manchmal nur jemanden, der sie sichtbar macht. Genau das passiert im Coaching.
Warum ich heute das tue, was ich tue
Weil andere Menschen mich früher genauso unterstützt haben.
Ich war nie der perfekte Schüler. Ich hatte keinen klassischen Karriereweg. Aber ich hatte Menschen, die mir etwas zugetraut haben. Und genau das möchte ich heute weitergeben.
Niemand findet seinen Weg allein. Wir brauchen Spiegel. Wir brauchen Fragen. Wir brauchen jemanden, der sagt:
„Schau hin. Da steckt mehr in dir, als du denkst.“
Was du in meinem Coaching erwarten kannst
Wir machen sichtbar, was du längst kannst.Wir ordnen, was sich ordnen lässt.Wir entdecken Muster, die dich schon lange begleiten.Wir benennen Stärken, die bisher namenlos waren.
Ich arbeite strukturiert, aber nicht starr.Lösungsorientiert, aber nicht oberflächlich.Professionell – und trotzdem menschlich.
Ich unterstütze dich – aber den Weg gehst du selbst.
Unbewusste Stärken sind der Schlüssel
Wenn Menschen ihre unbewussten Stärken erkennen, passiert etwas Entscheidendes:Entscheidungen werden klarer.Bewerbungen authentischer.Gespräche leichter.Ziele realistischer.
Und das Selbstbild wächst.
Wir alle tragen Fähigkeiten in uns, die schon lange da sind. Wir müssen lernen, sie ernst zu nehmen.
Über mich
Özkan Ünlü dipl. Berufs- und Laufbahnberater (MAS FHNW), Coach (ICF ACC). Erfahrung in Leistungsport, Handwerk, Führung und professioneller Laufbahnberatung.Gründer von Karrierefokus – spezialisiert auf Stärkenarbeit, Neuorientierung und lösungsorientiertes Coaching.
Wissenschaftliche Quellen
Gould, D., & Carson, S. (2008). Life Skills Development Through Sport. International Review of Sport and Exercise Psychology.
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic Motivation and Self-Determination in Human Behavior. Springer.
Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and intrinsic motivation. American Psychologist.
Di Domenico, S. I., & Ryan, R. M. (2017). The Emerging Neuroscience of Intrinsic Motivation.
Holt, N. L., & Sehn, Z. (2015). Life Skills Development Through Youth Sport. University of Stirling.




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